Der ganz normale Wahnsinn

24.10.2019

Dieser Blogeintrag soll Euch einen Einblick in meinen alltĂ€glichen Ablauf geben. Was ich so mache, wann das so stattfindet und wie ich das so finde 😊

Alle GemĂŒtszustĂ€nde des Tages zusammengefasst in einem Bild
Alle GemĂŒtszustĂ€nde des Tages zusammengefasst in einem Bild

Als Erstes klingelt mein Wecker um 7:15 Uhr. Da ich zu den Personen gehöre, die ihren Wecker gerne 15-mal auf Snooze stellen, bevor sie letztendlich aufstehen, schaffe ich es circa 7:30 Uhr aus dem Bett. Wenn das Bad frei ist, stolpere ich schlaftrunken dorthinein. Wenn jedoch nicht, versuche ich mit halboffenen Augen einen Kaffee zu machen. WĂ€hrend dieser zieht und an Geschmack annimmt, widme ich mich meinen Haaren. Ich versuche mit meinen Frisuren kreativ zu sein, aber leider ist die Auswahl recht beschrĂ€nkt, wenn man immer einen geflochtenen Pferdeschwanz tragen sollte 😉 Naja, was sollÂŽs. Wenigstens habe ich dann nicht die Qual der Wahl zwischen offen, halb offen, geschlossen, geflochten, zwei Zöpfe, ein Zopf, hochgebunden, tiefgebunden, bla bla bla. So muss ich mich nur zwischen "Haarspange ja/nein" und "wo fange ich an meine Haare zu flechten" entscheiden. Easy Peasy. Nachdem ich dann also gestriegelt und gebĂŒrstet bin, kommt nur noch der Feinschliff: Schmuck. Da ich eh immer die FreundschaftsarmbĂ€nder der Kinder trage, brauche ich keine gold glĂ€nzenden ArmbĂ€nder, aber die Ohrringe und die Ringe dĂŒrfen nicht fehlen! Denn in Indien trĂ€gt gefĂŒhlt jede Frau tĂ€glich und ohne Ausnahme goldene Ohrringe, Ketten, Armreifen und Ringe - mal ganz zu schweigen von den silbernen Fußkettchen und den Zehringen, die eh nie abgenommen werden. Nur noch den Bindi auf die Stirn und los kann es gehen.

Idly mit Coconut Chutney ... Sieht nach nicht viel aus, ist aber meeeega legga :)
Idly mit Coconut Chutney ... Sieht nach nicht viel aus, ist aber meeeega legga :)

Und wohin? Zum FrĂŒhstĂŒck natĂŒrlich! DafĂŒr gehen wir in das benachbarte GebĂ€ude, dem Yuva Bhavan. Das gehört ebenfalls zu unseren Projekten und ist, leicht gesagt, die "Hauptzentrale". Dort sind die BĂŒrorĂ€ume der Angestellten, dort essen und schlafen die College Boys, die Fathers und GĂ€ste, und das Krankenzimmer ist ebenfalls dort vor Ort. 8 Uhr stehen wir dann also auf der Matte und warten auf das leckere Essen. Ich muss zugeben, dass ich am Anfang noch nicht so recht begeistert war von dem indischen Essen: Morgens, mittags, abends deftig, scharf und warm. Aber nach 6 Monaten habe ich es zu lieben begonnen und ich weiß, dass ich die FrĂŒhstĂŒcksauswahl krass vermissen werden!! Mein ungeschlagenes Lieblingsessen ist Idly mit Kokusnuss Chutney. YAMMYYY! Und das gibt es jeden Tag!

20 bis 30 Minuten spĂ€ter geht es dann nach dem Abwasch der Teller auf ins Projekt. Wenn jedoch noch kurz Zeit ist, schaue ich auf einen Abstecher ins Krankenzimmer vorbei. Da gerade Regenzeit ist, beziehungsweise diese fast vorbei ist, ist die Krankheitsrate höher als normal. So trifft man immer einen Jungen, mit dem man sich kurz unterhalten kann. Im Moment liegt ein Junge, der mir sehr am Herzen liegt, im Krankenzimmer mit Malaria. So versuche ich fast jedes Mal, wenn ich im YB (Yuva Bhavan) bin, auch bei ihm vorbeizuschauen. Wenn dann diese kurze Visite auch vorbei ist, geht es aber wirklich los ins Projekt. Und das heißt bei mir: Schwing dich aufs Rad und hinein in den indischen Verkehr. Ich brauche an einem guten Tag circa 20 Minuten und an einem schlechten Tag circa 30 Minuten um ins BVK zu kommen. Aber egal, wie lange ich brauche, ich komme total verschwitzt an 😉.

Englischunterricht in der Computer Class
Englischunterricht in der Computer Class

Was ist das BVK? Das BVK liegt in einem Industriebezirk namens Auto Nager und ist eine WeiterbildungsstĂ€tte fĂŒr Frauen (und MĂ€nner). Da das Kursangebot eher auf Frauen ausgelegt ist, sind nur durchschnittlich zwei bis drei MĂ€nner dabei. Es gibt drei Kurse: Kosmetikerin, Schneiderin und die Computerklasse. In der Kosmetikausbildung lernen die SchĂŒlerinnen alles ĂŒber Haarschnitte, Masken, Massagen, Hennah, Haare fĂ€rben bis hin zu den verschiedenen Techniken Sarees zu wickeln. In der Computerklasse lernen die MĂ€nner und Frauen von 10-Finger-schreiben, PowerPoint PrĂ€sentationen zu erstellen bis hin zu der Geschichte des Computers. Was die Schneiderinnen lernen, weiß ich leider nicht, da die Klasse in ein anderes GebĂ€ude ĂŒbergesiedelt worden ist. Was mich auch schon zu meinem nĂ€chsten Punkt bringt. Da momentan nur sehr wenige sich fĂŒr die beiden Kurse eingeschrieben sind, halten wir nur eine Englischstunde fĂŒr beide Weiterbildungskurse zusammen - die Kosmetikerinnen und die Computerklasse.

Angekommen im BVK muss ich mich erst einmal erholen, denn die hohe Luftfeuchtigkeit und die 35° bringen einen schnell ins Schwitzen. PĂŒnktlich um 9:30 Uhr beginnt die Assembly (Versammlung) mit dem Morning Prayer (Morgengebet), gefolgt von dem Good Talk (GedankenanstĂ¶ĂŸe fĂŒr den Tag) und abgeschlossen wird das Ganze mit der National Anthem (Nationalhymne). Wie wir den Unterricht gestalten, ist uns VolontĂ€ren ĂŒberlassen, aber der Hauptfokus sollte auf dem Sprechen liegen. Im Moment lesen wir Moralgeschichten und lernen sie zu verstehen mit dem Ziel, dass die SchĂŒlerInnen spĂ€ter selbst eine Geschichte schreiben können. Auch wenn das eigentlich eine mĂŒndliche Klasse sein sollte, bin ich der Meinung, dass man an das Ganze ein wenig ganzheitlich herangehen sollte. Ohne die Buchstaben lernt man nicht die Schrift. Und ohne die Schrift lernt man nicht das Wort. Und ohne das Wort lernt man nicht die Aussprache. Und ohne Textlesen kann man nicht an der Aussprache arbeiten. Und ohne eine "korrekte" Vorgabe, kann man sich an nichts orientieren. Jedenfalls ... nach einer Stunde sind wir dann fertig. Wir tragen uns in das Anwesenheitsbuch ein und sind dann schon wieder am Weg zurĂŒck in die Wohnung.

Da ich dann aber so viel Zeit habe und mich nicht recht ausgelastet fĂŒhle, habe ich angefangen weiter ins Shelter zu fahren, wo ich auch am Nachmittag arbeite. Also geht es an der Wohnung vorbei und weiter ins Shelter, wo bereits die anderen StadtvolontĂ€re sind (die eh regulĂ€r dort arbeiten). Dort verbringe ich dann einfach Zeit mit den Kindern. Je nachdem was gerade ansteht lernen wir Klatschenroutinen, unterrichten, spielen Spiele oder sind einfach nur fĂŒr GesprĂ€che da. Um 13 Uhr, meist findet davor noch eine kleine Function statt, wo entweder das Mittagessen gesponsort oder ein kleiner Geburtstag zelebriert und der Kuchen angeschnitten wird, geht es dann fĂŒr uns VolontĂ€re zurĂŒck ins YB. Nach einem ausgiebigen Mittagessen das meist aus Reis, verschiedenen Currys und Sambar besteht, geht es (mit einem Abstecher ins Krankenzimmer) zur Mittagspause zurĂŒck in die Wohnung, wo wir erst einmal entspannen.

Eine Gebetsrunde zu Ehren GandhiÂŽs am Gandhi Jayanti (2.10.2019)
Eine Gebetsrunde zu Ehren GandhiÂŽs am Gandhi Jayanti (2.10.2019)

Am Mittag ĂŒberlegen wir uns dann die AktivitĂ€ten fĂŒr den Nachmittag und ob noch etwas vorzubereiten ist. Momentan gibt es da nicht viel zu tun, denn wir haben alles Material fĂŒrs Shelter bereits vor Ort und fĂŒrs RVTC wird das meist spontan entschieden. Um 15:30 Uhr fangen wir langsam an unsere Sachen zu packen, damit wir um 16 Uhr im Shelter sind. Hier beginnt nun die Gamestime (Spielzeit) fĂŒr die Kinder. Je nach dem wie motiviert die Kinder sind, basteln wir oder sind aktiv bei Bewegungsspielen dabei. Ein Klassiker ist Karottenziehen (bei denen auch Chaingame genannt). Hierbei liegen alle Kinder bĂ€uchlings in einem Kreis auf dem Boden. Um eine Kette zu bilden verhaken sich die Kids mit den Armen und HĂ€nden (alle Köpfe zeigen zur Mitte). Nun gibt es einen (oder zwei) Bösewichte, die versuchen die Kette zu brechen, in dem sie an den FĂŒĂŸen der Kinder im Kreis ziehen. Es ist ein höchst amĂŒsantes Spiel, denn oftmals sind die VolontĂ€rinnen die "Bösen" und die Kinder die Kettenglieder. Es ist aber wunderbar zu sehen, wie stark die Kinder zusammenhalten und sich gegenseitig nicht loslassen und alles tun, damit die Kette nicht gebrochen wird - und ja, dazu gehört auch ein wenig schummeln😉. Aber hey, wenn es Spaß macht ... Wen stört es wirklich?

Je nach GruppengrĂ¶ĂŸe und Alter der Kinder haben wir auch manchmal die Möglichkeit auf dem Vorhof zu spielen. Der bietet zwar nicht viel Platz, aber Kinder können kreativ sein und trotzt allem das Beste daraus machen. So hatte ich einen absolut wunderbaren Nachmittag mit den Kids draußen, als einige die WĂ€nde bemalt haben, andere mit unseren FahrrĂ€dern gefahren sind, anderen Frisbee gespielt haben und anderen wiederum mit Brettspielen beschĂ€ftigt waren. So glĂŒcklich habe ich die Kinder selten erlebt. Auch wir VolontĂ€re waren danach verschwitzt und erschöpft aber völlig glĂŒcklich.

Um 18 Uhr (meist mit großer VerspĂ€tung, weil die Verabschiedung der Kinder oft sehr lange dauert und man selbst auch einfach nicht gehen will) machen meine MitvolontĂ€rin und ich uns auf ins nĂ€chste und letzte Projekt des Tages, dem RVTC. Das ist die AusbildungsstĂ€tte fĂŒr jugendliche Burschen ab dem Alter von 16 Jahren. Dort lernen sie entweder eine Mechaniker-, Elektriker- oder Klempnerausbildung. Wir unterrichten wir von 18:30 bis 19:30 Uhr in Themen, die sie interessieren (und das sind oftmals nicht viele, weshalb wir in unseren Vorbereitungen recht spontan sein mĂŒssen).

Als erstes stellen wir unsere RĂ€der in dem Hof vom RVTC GebĂ€ude ab und gehen hinauf und schauen welche Jungs heute bei uns in der Klasse dabei sein werden. Danach schĂ€tzen wir die Motivation ein und entscheiden von dort, was wir machen. An einem Abend waren die Jungs zwar nicht recht motiviert, aber ich hatte mit ihnen ein GesprĂ€ch ĂŒbers Rauchen. Da ich selbst 10 Jahre Raucherin war, konnte ich aus einer anderen Perspektive als der mit dem Finger wedelnden und beschuldigenden Perspektive mit ihnen sprechen. Zwei Burschen kamen nach der Stunde sogar zu mir und haben sich fĂŒr dieses GesprĂ€ch bedankt. Das hat man auch nicht oft. Es gibt aber auch andere Stunden, wo die Motivation nicht sehr hoch ist und nur volle Begeisterung fĂŒr WörtersuchrĂ€tsel (Word Search) vorhanden ist. Einen Abend waren alle Burschen, sogar externe, so gebannt von dieser Aufgabe, dass sie 45 Minuten ruhig dagesessen sind und gerĂ€tselt haben. Manchmal haben wir aber auch normale Englisch und Mathe Stunden und manchmal auch Spiele-Stunden, wo wir Bingo spielen.

Ja, auch gibt es manchmal Mehandi (Hennah) :D
Ja, auch gibt es manchmal Mehandi (Hennah) :D

Offiziell wĂŒrden wir um 19:30Uhr mit unserer Arbeit um RVTC fertig sein, da wir aber meistens noch ein wenig mit den Jungs abhĂ€ngen, kann es sich teilweise auf 20Uhr ausweiten. Aber spĂ€testens dann geht es in dem abendlichen verrĂŒckten Verkehr wieder zurĂŒck zur Wohnung. Davor stellen wir aber noch unsere FahrrĂ€der im YB ab. Je nachdem wie spĂ€t ist es und wie motiviert wir sind, gehen wir dann noch nach oben ins Krankenzimmer - oder eben direkt hinĂŒber in unsere Wohnung. Dort reflektieren wir den Tag, tauschen uns untereinander aus und wenn es so weit ist und der Hunger ĂŒberhandnimmt, kochen wir uns Abendessen. Wenn irgendwas vorzubereiten ist fĂŒr den nĂ€chsten Tag, wird das an dem Abend noch gemacht, ansonsten schauen wir gemeinsam Filme, essen noch etwas oder erfreuen uns einfach unserer freien Zeit am Abend. Gegen ca 23 Uhr geht's dann fĂŒr mich auch ins Bett nachdem ich geduscht habe, entspannt bin und meine organisatorischen Dingen erledigt habe.

So. Langer Eintrag, danke fĂŒrs Lesen und Durchhalten. Ich hoffe, dass ihr einen guten Einblick in meinen Alltag erlangt habt.

Leider muss ich dazu sagen, dass nicht jedes Projekt so lÀuft wie meins und das einige VolontÀrInnen teilweise mit mehr oder weniger Arbeit dabei sind. Ich habe es gut erwischt und freue mich jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Nicht immer passiert etwas Gutes, aber selbst das vergeht.

Eure Rike

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